SZ: Über Nacht abgeschoben & Video

in Kategorie: Politisch aktiv Rundfunk & Presse

Wir berichteten über die brutale Abschiebung der „Vilis“ im November.

Zwei Freundinnen der Familie, Marianne und Mahbat fordern die Rückkehr der Familie in diesem Video >>

#wirmachendasnichtmehrmit #allebleiben

Die Sächsische Zeitung griff in einem Artikel >> unsere Petition auf gegen die Abschiebung einer georgischen Familie aus dem Landkreis:

Eine gut integrierte georgische Familie musste Deutschland verlassen. Das will die AG Asylsuchende aus Pirna nicht so hinnehmen und initiiert eine Petition.

Die AG Asylsuchende Sächsische Schweiz aus Pirna sagt laut: Nein.  „Wir machen den Abschottungs- und Abschiebewahn in Sachsen nicht mehr mit. Es ist gegen die Menschenrechte“, sagt Imke Günther, die mit anderen die AG vor mehreren Jahren  gegründet hat. 

Ganz konkret geht es den Aktivisten um die Familie Abrashvili (Name von der Redaktion geändert) aus Georgien, die im September aus dem Landkreis Sächsische Schweiz-Osterzgebirge abgeschoben wurde. „Unter unmenschlichen Bedingungen“, stellt Wolfgang Claßen aus Pirna fest, der die fünfköpfige Familie betreut hat. 

Anfang 2017 flohen die Abrashvilis aus ihrer Heimat vor einer Blutrache, die im dortigen Pankissital unter den Kisten, einer ethnischen Minderheit, heute noch Praxis ist. Die georgische Familie bezog eine Wohnung in Dürrröhrsdorf-Dittersbach. 

Schnell integrierte sich der Vater, der einen Sprachkurs besuchte und eine Arbeit im Straßenbau bei einem ortsansässigen mittelständischen Unternehmen fand. „Der Chef war sehr mit ihm zufrieden“, sagt Claßen.  Die Mutter und die drei Kinder entwickelten sich zu den Stammgästen des Internationalen Begegnungszentrums, das von der AG Asylsuchende  in Pirna organisiert wird. Hier kamen sie mit anderen Geflüchteten, aber auch mit Deutschen zusammen und fanden neue Freunde. Frau Abrashvili übernahm gerne Verantwortung  bei Veranstaltungen und brachte sich vielseitig ein. 

Allerdings wurde sie nach einiger Zeit krank und litt immer stärker unter Angststörungen, Depressionen; schließlich musste sie Psychopharmaka einnehmen.  „Immer in der Angst vor einer drohenden Abschiebung. Das macht auch etwas im Kopf der Menschen. Es ist eine enorme psychische Belastung“, erklärt Christina Riebesecker von der AG.  Bei einem ersten Abschiebeversuch im Juli brach Frau Abrashvili zusammen und wurde nach Arnsdorf in die Klinik eingeliefert. 

Nach der Entlassung ist sie wieder Zuhause. Unterstützung bekommt die Familie unter anderem von einer Migrantin aus Afghanistan, die in der Nachbarschaft wohnt. Dann der zweite Abschiebeversuch.  Erneut kollabiert die Familienmutter.  Gemeinsam mit Wolfgang Claßen fährt sie nach Dresden, wo sie sich in einem Therapiezentrum untersuchen lässt. „Es ging darum zu klären, ob Frau Abrashvili überhaupt reisefähig ist“, berichtet der Pirnaer. 

Aber bereits drei Tage später, gegen 23 Uhr, erhält Wolfgang Claßen einen Anruf von der Familie.  „Die Polizei ist hier, wir werden abgeschoben“, ruft der Familienvater  aufgeregt. Daraufhin setzt sich Claßen sofort ins Auto und fährt nach Dürrröhrsdorf-Dittersbach. 

Was er dort erlebt, hat er bis heute nicht vergessen.

Frau Abrashvili sitzt in einem Bus ihre Hände auf dem Rücken mit Handschellen gefesselt.  „Sie war völlig aufgelöst und schrie.“  Claßen weiß noch, dass es eine sehr kalte Nacht war. Der Familienvater zieht  oben in der Wohnung eilig seine Kinder an und packt die notwendigsten Sachen zusammen.  Auch er ist verstört, die Kinder wirken apathisch. 

Wolfgang Claßen versucht noch zu vermitteln, und den Beamten darzulegen, dass die Mutter derzeit auf Reiseunfähigkeit untersucht wird. Aber sein Einwand verhallt. Dann wird die georgische Familie in den Bus gesetzt, der kurz darauf losfährt. Das Ziel? Georgien, ein Land, wo den Abrashvilis Gefahr droht, so die AG.  Wolfgang Claßen findet klare Worte: „Eine kranke Frau zu fesseln und vor den Augen ihrer Kinder abzuschieben, empfinde ich als unmenschlich.“  

Mittlerweile haben er und die AG Asylsuchende wieder Kontakt zu der Familie, die versteckt in Georgien lebt.  „Es geht ihnen nicht gut in ihrem Heimatland“, berichtet Claßen.  Der jüngste Sohn, der in Deutschland geboren wurde, hat nur einen Registerauszug, aber keine Geburtsurkunde. Er liegt mit einer Lungenentzündung im Krankenhaus ,  wird er aber wegen fehlender Papiere nicht behandelt“, so der Pirnaer.  Der Familienvater selber müsse sich aufgrund der drohenden Blutrache verstecken und könne  praktisch nichts für seine Familie tun.  „Die Familie ist extrem gefährdet und muss wieder zurück ins sichere Deutschland“, lautet Claßens Fazit. 

Das sieht die AG Asylsuchende ebenso und hat deshalb eine Petition gestartet. „Hier ist eindeutig eine Grenze überschritten worden. Nicht zum ersten Mal in Sachsen.  Wir machen das nicht mehr mit und fordern alle auf, die Petition gegen den Abschiebewahn zu unterschreiben, “ betont Imke Günther. Es gehe generell um Migranten,  die im Landkreis dezentral wohnen und sich gut integriert hätten. „Es sind unsere Nachbarn, Freunde. Man reißt sie nachts aus den Betten, um sie abzuschieben. Die Frage geht an uns alle: In welcher Gesellschaft wollen wir leben?“ 

In diesem Zusammenhang erinnert Imke Günther nochmals an den Tag der Menschenrechte am 10. Dezember. „Was in Dürrröhrsdorf-Dittersbach passiert ist, hat nichts mit Menschenrechten zu tun, sondern ist in meinen Augen ein eindeutiger Verstoß gegen die Menschenwürde.“ 

Asylbewerber im Landkreis Sächsische Schweiz-Osterzgebirge

– 562 Asylbewerber im Verfahren

– 623 abgelehnte und geduldete Asylbewerber

– 809 anerkannte Asylbewerber

– Während anerkannte Asylbewerber sich eigenen Wohnraum anmieten können, werden alle anderen Asylbewerber vom Landkreis in Gemeinschaftsunterkünften und Gewährswohnungen (vom Landkreis betriebene Wohnungen) untergebracht.

Stand 2. Dezember 2019, Quelle: Landratsamt Pirna