Gemeinsame Pressemitteilung: Unrechtmäßige Abschiebung aus Pirna

in Kategorie: Politisch aktiv Rundfunk & Presse

UPDATE: Der Fall der Familie Imerlishvili hielt Pirna und ganz Sachsen wochenlang in Atem. Die Nachbar*innen starteten eine Petition, die fast 20.000 Unterschriften erreichte. Unter dem Slogan „BringBackOurNeighbours“ wurde vehement mit Demos und Protestbriefen gegen die Abschiebung gekämpft. Unzählige Presseartikel und Interviews erschienen, die sächsische Koalition stritt über die Rechtmäßigkeit der Abschiebung während der Großteil der Zivilgesellschaft sich einig war, dass diese sächsische Abschiebepraxis jedes Maß verloren hat. Mit ungeheurer Kraft und Anstrengung der Familie, ihrer Freund*innen und Nachbar*innen, Lobbyarbeit durch SFR, AG Asylsuchende und vielen anderen NGOs, Politiker*innen und vor allem der Rechtsanwältin der Familie gelang es, die Familie nach 69 Tagen zurück zu holen. Die Initiative BRing BackOurNeighbours wurde dafür mit dem Sächsichen Preis für Demokratie ausgezeichnet. Die Familie lebt in Pirna, die Eltern arbeiten in der Pflege, die Mutter zusätzlich als Dolmetscherin. Die Kinder besuchen Schule, Kita, Chor, Fußballverein und und und. Der Protest gegen die Abschiebung und die Rückholung der Familie waren einzigartig in Sachsen. Die Brutalität der Abschiebung war es nicht. Besonderheit dieses Mal: Es gab Augenzeug*innen und Beweismaterial. Auf der Seite bringbackourneighbours.de wurde der Fall aufgearbeitet. Dort erscheinen in Kürze mehrsprachige Infomaterialien für Geflüchtete aus Sachsen, wie sie für ihr Bleiberecht eintreten können.

Gemeinsame PM des Sächsischen Flüchtlingsrates e.V. und der AG Asylsuchenden SOE e.V. vom 10.06.2021 zur heutigen Abschiebung nach Georgien:

Härtefallkommission wird übergangen +++ Nachbarschaft aus Pirna setzt sich gegen Abschiebung ein +++Tuberkulose-Patient sollte in den Flieger +++Nachwuchsspieler von Dynamo Dresden betroffen

Gegen 12 Uhr fand erneut eine Sammelabschiebung von Leipzig/Halle in Richtung Tiflis statt. Trotz gemeinsamen Einsatzes von Änwält*innen, Unterstützer*innen, Härtefallkommission und Flüchtlingsrat, konnte diese nicht verhindert werden. Im Verlauf des Vormittags erreichten uns mehrere schockierende Fälle. So waren zwei bestens integrierte Familien betroffen und ein Mensch mit latenter Tuberkulose sollte in den Flieger.

Familie I. aus Pirna – Wenn Integration nichts nützt

Die Hausgemeinschaft berichtet, dass zwischen 2 und 3 Uhr nachts Familie I. aus Pirna abgeholt wird. Die neunköpfige Familie lebt seit fast zehn Jahren in Deutschland – mehrere Kinder sind hier geboren. Alle Familienmitglieder sprechen deutsch, beide Elternteile sind berufstätig, sodass deutlich wird: Integration bietet mal wieder keinen Schutz vor Abschiebung! Christina Riebesecker von der AG-Asylsuchende ist empört: „Die Anwältin der Familie hatte am Morgen noch einen Eilantrag gestellt, der abgelehnt wurde. Erst kürzlich wurde ein Antrag wegen nachhaltiger Integration gem. § 25b Aufenthaltsgesetz gestellt, zu dem es noch keine Entscheidung gab. Die Familie und die Anwältin waren recht zuversichtlich.“

Es waren circa 20 Polizist*innen im Einsatz, um die Familie abzuholen. Der Schock über das Polizeiaufgebot und die Abschiebung trotz mustergültiger Integration sorgten dafür, dass der Vater einen Nervenzusammenbruch erhielt. Dabei war diese Abschiebung kein Einzelfall: „Das ist jetzt der dritte Fall von georgischen Familien allein aus Pirna, den wir als AG Asylsuchende mitbekommen. Traumatisierte Kinder, verzweifelte Eltern, fassungslose Freund*innen und Nachbar*innen. Und schon wieder eine rechtswidrige Abschiebung mitten in der Nacht. So geht sächsisch!“

Entscheidung der Härtefallkommission wird ignoriert

Was in den Stunden vor dem Flug folgte, gleicht einem schlechten Film: Die Härtefallkomission wollte sich dem Fall annehmen, nachdem kurzfristig eine einfache Mehrheit des Gremiums organisiert werden konnte. Damit hätte die Abschiebung gestoppt werden müssen. Das Innenministerium kannte die Sachlage und hatte die Pflicht, die zuständigen Behörde und die Bundespolizei rechtzeitig zu informieren. Doch anstatt Familie I. aus dem Flieger zu nehmen und deren Abschiebung zu stoppen, wird nach 12 Uhr mitgeteilt, dass der Flieger bereits gestartet sei – sämtliche Rettungsversuche wären zu spät. Christina Riebesecker von der AG Asylsuchende dazu: „Wir sind wütend! Und wir verlangen, dass unsere Freund*innen sofort zurückgeholt werden! Diese Abschiebung war rechtswidrig!“

Latente Tuberkulose bei Abschiebung aus Leipzig

Betroffen von der Abschiebung war auch zwei Männer aus der Erstaufnahmeeinrichtung in Leipzig. Laut unseren Informationen war sowohl die Landesdirektion als auch das Gesundheitsamt Leipzig im Vorfeld darüber informiert wurden, dass bei einem der Männer eine latente Tuberkulose diagnostizierte wurde. Dennoch gab es einen Abschiebeversuch, der dann – nachdem die Informationen gerade noch rechtzeitig weitergeleitet wurden – abgebrochen werde konnte. Unvorstellbar, welchem gesundheitlichen Risiko der Betroffene und alle anderen an Bord während des Fluges ausgesetzt gewesen wären!

Familie Z. aus Radebeul: Nachwuchstalent bei Dynamo Dresden und Vater mit Vollzeitstelle

Familie Z. rief ca. 1 Uhr bei einer Unterstützerin an und teilte mit, dass die Polizei gekommen ist. Die Mutter wird anschließend mit dem 1,5 Jahre alten Kind wurde in einen Einsatzwagen und der Vater mit dem 14 Jahre alten Kind in einen anderen gebracht. Die Familie war erst seit zwei Jahren in Deutschland, aber genau wie Familie I. perfekt integriert: Der Vater der Familie hatte seit November 2020 eine Vollzeitstelle und der Sohn spielte als Nachwuchstalent bei Dynamo Dresden.

Die Unterstützerin berichtet: „Obwohl Familie Z. selbst bei der Tafel Essen holen musste, kochte sie beim ersten Fußballverein des Sohnes ehrenamtlich für Kinder. Es ist unfassbar was heute passiert ist, zumal die Familie nächste Woche Rechtsberatung erhalten hätte.“ Als der Arbeitgeber von der Abschiebung erfuhr, sei dieser direkt bereit gewesen einen unbefristeten Arbeitsvertrag für den Vater aufsetzen, erklärt ebendiese Bekannte der Familie weiter.

Dave Schmidtke vom Sächsischen Flüchtlingsrat zu den heutigen Ereignissen: „Es ist unglaublich, dass heute Moral und Recht keine Rolle spielten. Die sächsischen Behörden haben bei beiden Familien, weder die individuelle Leistung der Integration anerkannt, noch den rechtlichen Rahmen vollends ausgeschöpft, um einen Aufenthalt zu ermöglichen. Das dann sogar eine Entscheidung der Härtefallkommission übergangen wird, ist auch für uns eine neue Stufe der Skrupellosigkeit bei Abschiebungen aus Sachsen.“

Pressekontakte:

Dave Schmidtke

Sächsischer Flüchtlingsrat e.V Politik, Vernetzung, Öffentlichkeitsarbeit

Dammweg 5 01097 Dresden

Tel.: 0351 – 33 23 55 94 Mobil: 0176-427 286 23

schmidtke@sfrev.de

Christina Riebesecker

AG Asylsuchende Sächsische Schweiz-Osterzgebirge e.V.

Lange Straße 38a  01796 Pirna

Mobil: 0176 56960149

christina.riebesecker@ag-asylsuchende.de